04 Januar 2013

Zeitalter des Schwirrens (Tales about Time XIV)


Ein weiteres Problem hinsichtlich des Sterbens heute besteht in einer radikalen Vereinzelung oder Atomisierung des Lebens, die dieses noch endlicher werden lässt. Das Leben verliert immer mehr an Weite, die ihm Dauer verleihen würde. Es enthält in sich wenig Welt. Diese Atomisierung des Lebens macht es radikal sterblich. Es ist vor allem diese besondere Sterblichkeit, die eine allgemeine Unruhe und Hektik hervorruft. Beim flüchtigen Hinsehen mag diese Nervosität den Eindruck erwecken, alles beschleunige sich. Aber in Wirklichkeit handelt es sich nicht um eine wirkliche Beschleunigung des Lebens. Nur hektischer, unübersichtlicher und richtungsloser ist das Leben geworden. Aufgrund ihrer Zerstreuung entfaltet die Zeit keine ordnende Kraft mehr. So entstehen keine prägenden oder entscheidenden Einschnitte im Leben. Die Lebenszeit wird nicht mehr durch Abschnitte, Abschlüsse, Schwellen und Übergänge gegliedert. Vielmehr eilt man von einer Gegenwart zur anderen. So altert man, ohne alt zu werden. Schliesslich ver-endet man zur Un-Zeit. Gerade darum ist das Sterben heute schwieriger denn je.
Byung-Chul Han, Duft der Zeit



 (Link zu Filmtrailer und Klappentext. Follow your bliss.) 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen