04 Februar 2022

Tag 14: Ewiger Tag

Es gibt sie, die Tage, die kostbar sind wie Kleinode, an denen alles auf Deiner Linie läuft, und nichts je misslingen kann. Wenn sie an Deine Tür klopfen, weisst Du: Tage wie diese waren immer schon so angedacht und zur Neige gefüllt mit allem, was Du liebst. Ein ruhiges Frühstück im Café um die Ecke, gefolgt vom langen Spaziergang im Park. Die Sonne glüht gütig vom Zenit, während Du hin zum Menschen an Deiner Seite lächelst. Vielleicht macht ihr ein Picknick, vielleicht kehrt ihr ein; der Nachmittag zieht sich träge hin, während ihr gemächlich durch die Strassen schlendert, Hand in Hand. Auf dem Weg durchstöbert ihr planlos die prall gefüllten Krämerkammern kleiner Raritätenläden, und wenn es Abend wird, taucht ihr ein letztes Mal ein in den zuckenden Puls der Metropole. Zum Schlummertrunk im Schummerlicht, das auf dem blankgescheuerten Bartresen glimmt, sind eure Herzen randvoll durchtränkt. Auf dem Heimweg hallen euch die Lichter der Grossstadt noch lange nach. Dieser Tag wird sich tief in eure Seelen brennen, und selbst wenn ihr eines Tages nicht mehr Seite an Seite durch die Städte zieht, oder durchs Leben, wird dieser ewige Tag nicht so leicht aus eurem Gedächtnis schwinden, wie so manches andere.

Was aber, wenn ich Dir nun sage, dass mehr Tage im Leben sein könnten wie dieser? Überlege, was die Dinge sind, die Du liebst und viel zu selten tust, während Du Deinen Alltag mit anderen Dingen zustellst, die einen monetären Sinn, jedoch keinen Wert für sich ergeben. Das Glück muss man kultivieren, man muss ihm mit einer reich gedeckten Tafel aufwarten, will man es regelmässig zu Gast am eigenen Tisch haben. Schaff Lebendigkeit um Dich und wichtiger noch: schaff Lebendigkeit in Dir. Denn wenn Du eines Tages erwachsen wirst, wirst Du feststellen, dass selbst die schönsten Träume ihre harten Kanten und starren Routinen haben. Nimm den weichen Filter aus den Bildern, und Du siehst das Normale. Nimm das schrille Lob aus der Erzählung, und Du erkennst das Alltägliche. Wir alle sind zu unverblümten Marktschreiern nicht-enden-wollender Glückseligkeit geworden, ohne das Glück in echt zu leben; wir stellen es nur lebensnah nach. Verlege Dich zurück darauf, das stille Glück in Deinem Herzen zu hüten. Diesen Atemzug lang, während Dein Kind aus vollem Herzen lacht, mit blitzenden Augen und ohne jeden Hintersinn. Und diesen, wenn Du ein Hemdchen ans Gesicht drückst, das ihr zu klein geworden ist, während Du Liebe atmend an die gemeinsam verbrachten Stunden zurückdenkst, als es noch passte. Drück es ein letztes Mal fest an Dich, dann lege es in Dankbarkeit beiseite. Und nehme ein neues, passendes Hemd in die Hand. 

Überhaupt, all diese scheinbar monotonen Stunden, in denen Du das, was nötig war, ohne Aufhebens erledigt hast. Dieser beständige Kreislauf schlichter Verrichtungen, und nichts davon war je spektakulär. Aber in einigen Jahren wird es Dir die Welt bedeuten: weil Du es nicht mehr tust. Richte deshalb Deinen Fokus ganz auf das, was Du jetzt erlebst, so wird auch das Notwendige für Dich zum Schönen. So werden selbst Tage zwischen alltäglichen Dingen zu ewigen Tagen. Und die Ewigkeit selbst wird: zu einem Tag. 

Sisyphus soll ein glücklicher Mensch gewesen sein, sagt man.[1]



[1] Albert Camus, Le mythe de Sisyphe, Paris 1942 

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