Junger Menschling, wenn Du in diese Welt kommst, ist Deine Reise noch lang. Lass Dir also Zeit, um stehenzubleiben und zu geniessen, was immer sich Dir als Anblick am Wegrand bietet. Blumen, Schmetterlinge, Sonnenuntergänge. Laue Frühlingswinde, leichte Sommerbrisen, Herbststürme im Aufzug und jener erste Anflug von Winter in der Luft, den Du förmlich riechen kannst. Alte Menschen, denen gelebte Weisheit ins Gesicht gemeisselt steht, und kleine Menschen, diese wahren Lebenskünstler zeitverlorener Selbstgenügsamkeit. Es gibt keinen Grund zur Hast. Der Weg ist nicht nur das Ziel: die Momente, die Du auf diesem Weg aneinanderreihst, sind die einzigen, die zählen und auch das Einzige, was am Ende bleibt. Nicht das, was Du immer vor hattest, und zu oft nicht getan hast. Nicht das, was Du sagen oder sehen oder schmecken wolltest. Zurück bleibt allein das, was Du in Tat und Wahrheit und aus vollem Herzen gelebt hast. Der Rest vergeht wie Schall und Rauch, so wie dereinst auch Deine Knochen vergehen und zur Unkenntlichkeit ausbleichen werden.
Wie viele kostbaren
Augenblicken hast Du bereits verschwendet, an Erinnerungen von Gestern und
Pläne von Morgen? Bedenke, dies ist schon unwiderbringlich verronnene Zeit. Ich
hoffe, Du hast sie an gute Erinnerungen hergegeben und an Pläne, die Du in die Hand nehmen wirst. Ich hoffe, Du hast Dich in dieser verronnenen Zeit nicht selbst
angeklagt und für das verurteilt, was wir schlicht: Leben nennen. Du
bist nicht hier, um Richter, Henker und Verurteilter zu sein, nicht für Dich und auch nicht für andere. Das Leben besteht aus Fehlern, weit mehr als aus
Erfolgen, denn nur aus Fehlern lernen wir und werden lebensklug. Die
menschliche Spezies ist die vielleicht einzige auf diesem Planeten, deren selbst
grösste und fatalste Fehler nicht im Katastrophenfall enden müssen. Nutze
diesen evolutionären Glücksfall. Wir sind dazu da, um uns aus unseren Fehlern - die in Wahrheit Lehrstunden sind - über uns selbst zu
erheben. Liebe Deine Fehler und vermeide sie nicht. Denn das Leben ist dazu
da, um gelebt zu werden, ohne ‘wenn’ und ‘aber’, ohne ‘vielleicht (morgen)’. Ohne die schwarze Parade von ‘hätte’, ‘sollte’, ‘müsste’, ‘könnte’. Und ganz besonders
ohne jenes berühmte ‘ich würde ja gerne, doch’.
Ertappst Du Dich bei einem dieser
Worte, bist Du gerade nicht im Jetzt. Du bist irgendwo anders. Vielleicht im Tal der Verzweiflung oder in der Wüste der Reue; auf den Klippen des Hochmuts oder im Liegestuhl der Trägheit. Vielleicht sitzt Du auch auf
dem Sofa und liest ein Buch, der bequemen Weltflucht fröhnend, sobald
das Leben etwas von Dir fordert, das Deine Komfortzone überspannt und Dir den Mut der Selbstüberwindung abverlangt. Oder Du sitzt in der Bar vor dem ewigen
Glas, das sich nie leert, weil Du es gelähmt vor Angst nicht zulässt.
Das echte Leben. Die echten Gefühle. Aber wieso eigentlich nicht. Wer hat Dir
die Idee mitgegeben, diese eigentliche Büchse der Pandora, verliehen von
Generation zu Generation, von Glied zu Glied, in einer einzigen unglückseligen Verkettung
der Menschheit, versehen mit der Warnung: UNTER KEINEN UMSTÄNDEN ZU ÖFFNEN, GEFAHR. Was könnte Dir denn passieren, wenn Du die Büchse öffnest und
erkennst: es sind ja lediglich Gefühle darin. Gefühle und Vorstellungen von
dem, wie ein Leben zu sein hat. Nichts davon hat oder hatte je eine Bedeutung
für Dich. Denn Du bist der Schöpfer Deiner eigenen Wirklichkeit, und wohin Du
Deinen Blick richtest, dorthin wird das Leben Dir folgen. Willst Du wirklich
weiter kostbare Zeit verschwenden und auf eine verschlossene Büchse starren?
Du musst sie noch nicht einmal öffnen – Du kannst auch einfach an ihr vorbei
gehen. Was in ihr steckt, hat mehr mit Deinen Ahnen zu tun und Deinen
Eltern, und mit diesem Menschengeschlecht und seiner Vergangenheit, nicht mit
Dir. Zieh Dir den Rucksack anderer nicht mehr an. Lass ihn liegen und trag getrost
nur noch Dein eigenes Gepäck.
Diese Welt, dieser blaue Planet der Hoffnung wurde als Heimat für uns geschaffen. Wir haben es jedoch gemeinsam geschafft, daraus eine Hölle für die Allermeisten von uns zu kreieren. Du siehst, zumindest die Hölle brauchst Du nicht mehr zu fürchten, denn Du kennst sie längst, lebst in ihr seit dem Tag deiner Geburt. Wie wäre es, wenn wir – Du und ich – nun aufwachen, aus diesem völlig verrückten Alptraum? Wie wäre es, wenn wir aufstehen und es wagen, uns zu neuen Horizonten aufzumachen? Die kollektive Verirrung muss ein Ende nehmen, in Frieden und in Liebe, und beides findest Du nur dort, wo bisher die wenigsten waren. Alles, was es braucht, ist eine Prise Mut. Wenn Du diesen Pfad der Närrinnen und Narren beschreitest, wenn Du bereit bist, die Welt auf ihren Kopf zu stellen und im Zuge dessen erkennst, dass sie ja schon lange auf dem Kopf steht, ganz ohne Dein Zutun: dann wird Dich das Universum, oder Gott, die Fügung oder wie auch immer Du die all-eine Schöpferkraft nennen willst, mit Zeichen beflügeln. Zeichen werden Deinen Weg pflastern, so wie es vormals all die unnützen guten Vorsätze taten. Wende Dich den Zeichen zu und vertraue darauf, dass alle wesentlichen Botschaften Dich erreichen werden.
Und das ist auch schon alles. Doch vergiss nicht, der Weg kann Dich nur tragen, wenn Du ihn auch gehst. Mit Deinen Füssen, Deinem Herzen und Deinem Geist. Also geh los, in Frieden. Lass los, in Liebe. Sei, wer Du bist.
Willkommen daheim.
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