17 Februar 2013

Gefühlswelten: Zorn


Das Rätselhafte an der Geschichte und an der Emotion des Zorns ist also, dass der Zorn der Logik der Novelle und der Logik der Selbsterhaltung zuwiderläuft: 
In dem Moment, da der Protagonist bereit ist, sein Leben zu verlieren, sieht er, dass alles unversehrt und unverändert geblieben, der Ausgangszustand wiederhergestellt ist. Das letzte Rätsel des Zorns besteht darin, dass eine Emotion, die Kohlhaas grosse Vitalität und Kraft verleiht, die aus ihm den mächtigen Anführer einer Miliz macht, in der Lage, das gesamte Land Sachsen zu terrorisieren, dass diese Emotion die Figur zunehmend ihres psychologischen Innenlebens und ihrer Tiefe entleert und ihr nimmt, was literarische Figuren und Menschen gerade so interessant macht: die Fähigkeit, sich selber reflektierend zu betrachten, Selbstironie und Selbstzweifel zu empfinden, zu zögern und nachzudenken. Zorn lässt keine Selbstironie zu. Eine zornige Figur ist daher eine Herausforderung für den Schriftsteller, weil ein zorniger Mensch beinahe immer eindimensional ist und flach in der Beständigkeit und Intensität seines Affekts.
Eva Illouz, Zorn, in: Grosse Gefühle I, DAS MAGAZIN N° 6

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