12 Oktober 2012

...an Enquiry Concerning Human Understanding


Ich weiss nicht, ob wir je zu klarem Verstand kommen werden, wir Kinder der Aufklärung mit unseren blockierten Herzen. Fragt man uns, worauf wir im Zweifelsfall vertrauen, dann antworten wir in der Regel: auf die Vernunft. Dabei erklärt uns die Kognitionspsychologie neuerdings, was Kant & Co. schon wussten, nämlich dass - wenn es um die Vernunft geht - der von alters her tradierte Gegensatz zwischen ratio und emotio schlechterdings nicht existiert ("Die menschliche Natur besteht nun einmal aus zwei Hauptfaktoren, die zu allen ihren Handlungen notwendig sind, nämlich aus den Neigungen und dem Verstande; nur die blinden Betätigungen der ersteren, ohne Leitung des letzteren, machen die Menschen für die Gesellschaft untauglich.– David Hume, Traktat über die menschliche Natur). Passend dazu werden Gefühle als der letzte dunkle Kontinent ausgerufen, den es noch zu entdecken gelte (Alles eine Frage des Gefühls, DIE ZEIT Nr. 37), nicht zuletzt in jenen Disziplinen, die Michel Foucault in seinem Früh-Werk 'Die Ordnung der Dinge' Humanwissenschaften nannte und worunter er die Psychologie, die Soziologie sowie diverse Kultur-, Ideen- und Wissenschaftsgeschichte(n) subsummierte. Aber auch in der Ökonomie und der Hirnforschung steht nichts weniger zur Disposition als der rationale Mensch, da zwischenzeitlich auch empirisch hinreichend dokumentiert wurde, dass (respektive wieviel) Einfluss die gefühlte Wirklichkeit auf unser Handeln ausübt. (Dies, nachdem Foucault bereits theoretischen Zweifel hinsichtlich des humanistischen Ideals eines autonomen Stifter-Ichs gesäht hatte - man denke an jenen berühmten Satz, in welchem er den 'Tod des Subjekts' ausrief und dem Menschen ein Verschwinden "wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand" prophezeite.)
 ...sapere aude?
Wie aber das Konzept der Vernunft neu (be)denken? Eine anschauliche Anleitung aus philosophischer Perspektive lieferte dazu kürzlich Michael Hartmann am literarischen Beispiel des Huckleberry Finn (Das emotionale Tier, DIE ZEIT Nr. 37). Selbigen befiel nach der Befreiung seines Freundes Jim aus der Sklaverei paradoxerweise ein schlechtes Gewissen - was jedoch nicht weiter zu verwundern braucht, sofern man bedenkt, dass diese anno dazumal zweifelsohne mit den normativen (rationalen) Vorstellungen einer von Rassenungleichheit geprägten Zeit konfligierte. Im inneren Zwiespalt, so Hartmann, gereichte Huck letztlich einzig sein Mitgefühl zur Konfliktbereinigung, denn: "Es ist, als kündigte sich in seinem noch unartikulierten Mitgefühl eine von mehr Gleichberechtigung charakterisierte Welt an, für die weder er noch seine Umgebung schon Worte, geschweige denn etablierte Praktiken haben. Das Gefühl wird hier nicht zum Gehilfen oder Ersatz der Vernunft, es wird zum einzigen Ort einer noch gar nicht praktisch gewordenen Vernunft und muss sich gegen die Borniertheit der offiziellen Vernunft bewahrheiten." Kurzum: mag das Gefühl auch vernünftige Anteile haben, lässt es sich dennoch nicht vollständig rationalisieren - und bildet somit einen widerständigen (korrektiven) Gegenpol zum rationalen Denken, et vice versa. 

...le Souci de Sois  
Woran können wir uns aber in Zukunft orientieren, wenn wir demnach weder unserem Verstand, noch unseren Gefühlen vollends trauen können? Vielleicht sollten wir für eine neue Vernunftsprägung versuchen, die Wende des Foucaultschen Spät-Werks 'Die Sorge um sich' von einem abstrakt-theoretischen Denken hin zu einer ganzheitlichen Existenzkunst nachzuvollziehen. In 'Die Ordnung der Dinge' war Foucaults 'modernes' Subjekt noch eines, das mittels diskursiver Zwänge der Humanwissenschaften konstituiert wurde und insofern als ein Produkt normativer gesellschaftlicher Machtverhältnisse zu lesen war, nicht als deren Schöpfer. Mit seiner postmodernen Aktualisierung der antiken Denkfigur einer lebenspraktischen Selbstsorge - ausgehend von der Frage, ob es eine Seinsform geben kann, welche nicht ausschliesslich vom (rationalen) Wissen und von der (sozialen) Norm bestimmt wird -, skizziert Foucault ein zwar weiterhin dezentriertes, aber nicht mehr unterworfenes Subjekt, dessen Lebensweise sich bewusst als ein experimenteller Selbstentwurf darstellt. Ein Entwurf, der ferner an eine Seinsästhetik knüpft, welche sich abseits eines kunstwerklichen Verständnisses als gelebte Ethik gestaltet. Und der im stetigen Changieren zwischen Sinnlichkeit und Abstraktion, Gefühl und Verstand zwar nicht Vernunft im theoretischen Sinn, aber womöglich so etwas wie eine vernünftige Praxis generiert.


POOL OF KNOWLEDGE by Ian Muttoo

"I would like to say, first of all, what has been the goal of my work during the last twenty years. It has not been to analyze the phenomena of power, nor to elaborate the foundations of such an analysis. My objective, instead, has been to create a history of the different modes by which, in our culture, human beings are made subjects." – Michel Foucault

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