13 September 2012

The Pain (or Art) of Being Pure at Heart...

The XX - In Concert
Tatütata: 'Coexist' ist da!

Unter raunendem Feuilletonbeifall ist kürzlich das zweite Album 'Coexist' des Londoner Dreigestirns The XX erschienen  der kritische Applaus ist wohlverdient, wie die geneigte Hörerin freimütig zugestehen möchte. Jedoch wirft der schon im Vorfeld der Veröffentlichung prophezeite, um nicht zu sagen: herbeigeschriebene, Erfolg der Platte unversehens eine Frage auf, die zumindest mir schon länger auf der Zunge liegt: wo sind sie geblieben, die episch unterlegten, grossformatig erzählenden Songs in der alternativ-/independenten Singer/Songwriter-Szene? Es scheint, als hätten sich die Schmerzensmänner und -frauen der jüngeren Musikergeneration überraschend einmütig einer kleinräumig zelebrierten Innenschau verschrieben. Und diese minimalistisch gefassten Herz- und Seelenspiegel in CD-Gestalt verkaufen sich erstaunlich gut ('xx', der Vorgänger von 'Coexist', weltweit ganze drei Millionen mal; in Branchenabgesangszeiten wie diesen eine veritable Sensation).


The XX - Portrait

Ja, aber...

Die neue 'Innerlichkeit' des avantgardistisch angehauchten Neo-Biedermeierbardentums (wie man versucht ist, das Phänomen liebevoll-neckisch zu labeln) vermeidet für gewöhnlich grössere gesellschaftliche Interpretationszusammenhänge, indem sie sich auf die privaten Nöte (und kleinen Freuden) der einzelnen Interpreten zurückzieht. Anders gesagt: der enggeführte Blick in die eigenen Seinsgründe versperrt zunehmend die Sicht auf die Aussenwelt. Dabei scheint eines aus dem Fokus zu geraten: bleibendes, die Zeit überdauerndes Liedgut sagt in der Regel nicht nur etwas über den betreffenden Künstler aus, es reflektiert auch die ihn prägenden soziokulturellen Umstände. Um nur ein Exempel zu (kon)statieren: 'The River' von Bruce Springsteen, ein Singer-/Songwriterjuwel (wenngleich ein mainstreamiges) der 1980er Jahre, bietet nicht nur die trauerspielgetreue Vorlage für ein förmlich leinwandheischendes Liebes(melo)drama, sondern verpasst dem Songinhalt sozusagen en passant einen gesellschaftskritischen Anstrich. Die besungene Highschool-Romanze zweier Working Class-Sprösslinge (Arbeitermilieu ersetzt hier zeitgemäss Bürgerkultur), die  wie könnte es anders kommen  in einer verfrühten Schwangerschaft zwischenresultiert, gipfelt in einer ausgewachsenen Lebensmittekrise (einschliesslich Arbeitslosigkeit), vor den Scherben einer im Stillen verunglückten Ehe. "Is a dream a lie if it don't come true, or is it something worse", begehrt Springsteens Ich-Protagonist zu guter Letzt in verzweifeltem Trotz auf, "that sends me down to the River"  an eben jenen symbolbehafteten (und gegen Liedende hin trockengelegten) Fluss, an dem die von äusseren Gegebenheiten schicksalsträchtig durchgerüttelte Zweierkiste einst einen hoffnungsreichen Anfang nahm. (Nebenbei bemerkt: das Lied wie auch das zugehörige, gleichnamige Album figurieren gemäss Meinung der Autorin wenig überraschend auf zahlreichen Best-of-Kritikerlisten, u.a. des Rolling Stone Magazine).

...so what?

Arcade Fire - Stimmungsbild 'The Suburbs'
Man verstehe mich nicht falsch: ich selbst bin eine ausgesprochene Liebhaberin der inbrünstig eingezimmerten Seelenklang-Landschaften von Bands wie The XX. Und es gibt sie (zumindest in zaghaften Ansätzen) immer noch, die zwischen Individuum und Gesellschaft brückenschlagenden (Titel-)Stücke wie 'Neon Bible' oder 'The Suburbs' von Edelkönnern des Fachs wie Arcade Fire. Nur müssen gerade die sich den krittelnden Mainstream-Anwurf selbsternannter Genrekenner gefallen lassen, die ihnen zwischenzeitlich scheinbar anrüchig anmutende Stadionklänge à la Springsteen attestieren; die Verve der grossen Geste generiert den Wagemutigen mitunter zum zweischneidigen Schwert, respektive wird sie als erfolgsbedingte (und -bedingende) Verirrung ausgelegt. Allerdings drängt sich quasi im Umkehrschluss die unbequeme Frage auf, wie viele der derzeit so präsenten (herzens)reinen Indiesongs wir in, sagen wir mal: fünfzehn, zwanzig Jahren noch hellfreudig hören werden. Und ob sie uns dann noch etwas zu sagen haben.

Nachtrag// 
So weit hält die deutsche Stone-Ausgabe The XX nicht nur für die "Band der Stunde" und 'Coexist' für das "Album des Jahres", an dem sich 2012 alles messen müssen wird. Sie mutmasst gar, die Platte könnte für das Trio und den britischen Indie-Pop das werden, was 'Nevermind' für Nirvana und den Alternative Rock war: "Ein konzentriertes Umkrempeln, eine Neubestimmung, ein Anfang." Kurzum: eine Pop-Revolution

Hörprobe The XX / Angels



"Rock and roll has always been this joy, this certain happiness that is in its way the most beautiful thing in life. But rock is also about hardness and coldness and being alone ... I finally got to the place where I realized life had paradoxes, a lot of them, and you've got to live with them." 
– Bruce Springsteen über den Entstehungsprozess des Albums 'The River'

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