The XX - In Concert |
Unter raunendem Feuilletonbeifall ist kürzlich das zweite Album 'Coexist' des Londoner Dreigestirns The XX erschienen – der kritische Applaus ist wohlverdient, wie die geneigte Hörerin freimütig zugestehen möchte. Jedoch wirft der schon im Vorfeld der Veröffentlichung prophezeite, um nicht zu sagen: herbeigeschriebene, Erfolg der Platte unversehens eine Frage auf, die zumindest mir schon länger auf der Zunge liegt: wo sind sie geblieben, die episch unterlegten, grossformatig erzählenden Songs in der alternativ-/independenten Singer/Songwriter-Szene? Es scheint, als hätten sich die Schmerzensmänner und -frauen der jüngeren Musikergeneration überraschend einmütig einer kleinräumig zelebrierten Innenschau verschrieben. Und diese minimalistisch gefassten Herz- und Seelenspiegel in CD-Gestalt verkaufen sich erstaunlich gut ('xx', der Vorgänger von 'Coexist', weltweit ganze drei Millionen mal; in Branchenabgesangszeiten wie diesen eine veritable Sensation).
The XX - Portrait |
Ja, aber...
Die neue 'Innerlichkeit' des avantgardistisch angehauchten Neo-Biedermeierbardentums (wie man versucht ist, das Phänomen liebevoll-neckisch zu labeln) vermeidet für gewöhnlich grössere gesellschaftliche Interpretationszusammenhänge, indem sie sich auf die privaten Nöte (und kleinen Freuden) der einzelnen Interpreten zurückzieht. Anders gesagt: der enggeführte Blick in die eigenen Seinsgründe versperrt zunehmend die Sicht auf die Aussenwelt. Dabei scheint eines aus dem Fokus zu geraten: bleibendes, die Zeit überdauerndes Liedgut sagt in der Regel nicht nur etwas über den betreffenden Künstler aus, es reflektiert auch die ihn prägenden soziokulturellen Umstände. Um nur ein Exempel zu (kon)statieren: 'The River' von Bruce Springsteen, ein Singer-/Songwriterjuwel (wenngleich ein mainstreamiges) der 1980er Jahre, bietet nicht nur die trauerspielgetreue Vorlage für ein förmlich leinwandheischendes Liebes(melo)drama, sondern verpasst dem Songinhalt sozusagen en passant einen gesellschaftskritischen Anstrich. Die besungene Highschool-Romanze zweier Working Class-Sprösslinge (Arbeitermilieu ersetzt hier zeitgemäss Bürgerkultur), die – wie könnte es anders kommen – in einer verfrühten Schwangerschaft zwischenresultiert, gipfelt in einer ausgewachsenen Lebensmittekrise (einschliesslich Arbeitslosigkeit), vor den Scherben einer im Stillen verunglückten Ehe. "Is a dream a lie if it don't come true, or is it something worse", begehrt Springsteens Ich-Protagonist zu guter Letzt in verzweifeltem Trotz auf, "that sends me down to the River" – an eben jenen symbolbehafteten (und gegen Liedende hin trockengelegten) Fluss, an dem die von äusseren Gegebenheiten schicksalsträchtig durchgerüttelte Zweierkiste einst einen hoffnungsreichen Anfang nahm. (Nebenbei bemerkt: das Lied wie auch das zugehörige, gleichnamige Album figurieren gemäss Meinung der Autorin wenig überraschend auf zahlreichen Best-of-Kritikerlisten, u.a. des Rolling Stone Magazine).
...so what?
Arcade Fire - Stimmungsbild 'The Suburbs' |
Nachtrag//
So weit hält die deutsche Stone-Ausgabe The XX nicht nur für die "Band der Stunde" und 'Coexist' für das "Album des Jahres", an dem sich 2012 alles messen müssen wird. Sie mutmasst gar, die Platte könnte für das Trio und den britischen Indie-Pop das werden, was 'Nevermind' für Nirvana und den Alternative Rock war: "Ein konzentriertes Umkrempeln, eine Neubestimmung, ein Anfang." Kurzum: eine Pop-Revolution.
Hörprobe The XX / Angels
"Rock and roll has always been this joy, this certain happiness that is in its way the most beautiful thing in life. But rock is also about hardness and coldness and being alone ... I finally got to the place where I realized life had paradoxes, a lot of them, and you've got to live with them."
– Bruce Springsteen über den Entstehungsprozess des Albums 'The River'
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